Der Umgang der Szene mit den Geheim-Milongas
Corona sorgt weiterhin für reichlich Gesprächsstoff. Im Schatten des Virus wird auch in Zeiten hoher Fallzahlen und vielerorts ausgeschöpften Kapazitäten an Intensivbetten zu geheimen Milongas eingeladen. Gleichgesinnte laden Gleichgesinnte ein - oder die, die dafür gehalten werden. Frei nach dem Motto: Lasst uns tanzen, bis der Arzt kommt!
Nicht alle Tänzer*innen, die eine solche Einladung erhalten, fühlen sich geschmeichelt. Im Gegenteil: Sie zeigen Unverständnis, lehnen die Einladung dankend ab - und werden teilweise trotzdem mit den üblichen Methoden der Impfgegner und Coronaleugner konfrontiert, die mit psychologischer Manipulation versuchen, ihre unwilligen Zielpersonen auf Linie zu bringen. Aber auch die Durchführung einer professionellen Gehirnwäsche will gelernt sein. Viele Versuche führen nicht zum erhofften Erfolg, wie einige Diskussionen in den sozialen Medien zeigen.
Es gibt Forderungen, die Teilnehmer einer verbotenen „Tanzlustbarkeit“, wie es in der Berliner Corona-Verordnung heißt, sofort anzuzeigen. Anderen geht das zu weit. Sie mißbilligen zwar die geheimen Milongas, wollen jedoch nicht denunzieren, weil sie die Szene nicht spalten wollen. Es wird ja voraussichtlich auch ein Leben nach Corona geben. Da will man es sich nicht mit jedem verscherzen.
Einige räumen anderen großzügig das Recht ein, die Einladung zu einer Geheim-Milonga dankend abzulehnen, wenn die oder der Eingeladene das „Geheimtreffen“ jedoch zur Anzeige bringen würde, wäre das ein Grund, den Kontakt abzubrechen.
Viele lehnen Denunziantentum grundsätzlich ab. Das ist aus gutem Grund nachvollziehbar. Menschen mit Blockwartmentalität haben in der Regel keine Freunde.
Viele von uns reagieren reflexartig, aber nicht reflektiert. Vor allem nicht in den sozialen Medien, wo zwischen dem Gang vom Wohnzimmer in die Küche aus der Hüfte geschossen und mal eben etwas kommentiert wird.
Wo jedoch ist die Grenze zu ziehen zwischen Denunziation und einer sinnvollen und notwendigen sozialen Kontrolle, die eine funktionierende Gesellschaft braucht?
Bei Wikipedia ist nachzulesen, dass man „unter einer Denunziation eine (Straf-)Anzeige eines Denunzianten aus persönlichen, niedrigen Beweggründen , wie zum Beispiel das Erlangen eines persönlichen Vorteils“ versteht. In der Politik wird das Wort „Denunziation“ gerne gegen Kritiker eingesetzt. Die Grenzen sind fließend: Ist es manchmal nicht zu einfach, jemanden einfach als Denunzianten hinzustellen, um ihn (oder sie) einfach mundtot zu machen? Quasi ein Totschlagargument?
Bei Facebook stellt ein Nutzer die Frage, ob jemand, der Denunziation per se ablehnt, auch seinen Nachbarn nicht verpetzen würde, der nachweislich Frau und Kind verprügelt? Sind die Organisatoren und Teilnehmer einer verbotenen Tanzlustbarkeit mit Partnerwechsel in Zeiten vom nachweislich in vielen Fällen tödlichen Corona-Virus eine Gefahr für andere und für die Gesellschaft, oder handelt es sich um ein rein privates Vergnügen, das andere nichts angeht?
Die Meinungen gehen auseinander. Und das überrascht nicht. Das macht eine pluralistische und bunte Gesellschaft aus. Die Offenheit und Klugheit einer Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass ihre Mitglieder nicht reflexartig in ein irreführendes Schwarz-Weiß-Denken abgleiten, sondern sich die Zeit nehmen zu differenzieren. Nicht nur beim Thema Corona wird die Diskussion oft auf rein emotionaler Ebene geführt. Viele können (bestenfalls) auf Halbwissen zurückgreifen. Das macht eine ernstzunehmende Diskussion schwer und ist alles andere als hilfreich. Wichtiger wäre es, sachlich zu hinterfragen, ob und was für ein Sinn hinter einer Meinung, einer Entscheidung - oder einer Handlung steckt. Von mündigen Bürgern, die auf Eigenverantwortung setzen, ist das zu erwarten.
Es sei also folgende Frage erlaubt: Macht es Sinn, sich in Pandemie-Zeiten zu privaten Feiern zu verabreden, wenn die Gefahr besteht, andere mit einem tödlichen Virus anzustecken und damit aktiv zur Verbreitung beizutragen, während gleichzeitig nebenan im nächsten Krankenhaus Corona-Patienten um ihr Leben kämpfend nach Luft ringen und Ärzte und das gesamte Krankenhauspersonal verzweifelt nach Wegen suchen, um eine drohende Triage zu vermeiden und nicht über Leben und Tod entscheiden zu müssen? Oder wäre es besser, so lange damit zu warten, bis die Gefahr nachweislich gebannt ist?
Leserbriefe gerne an info@tango-argentino-online.com (oder einfach die Kommentarfunktion nutzen). Bitte daran denken, in der Diskussion respektvoll, sachlich und konstruktiv zu bleiben. Kommentare in den sozialen Medien werden i.d.R. nicht kommentiert oder beantwortet.
Foto: Stockfoto
Leserbrief von Tango-DJ Norbert van Appeldorn:
"Seine Mitmenschen wissentlich eventuell mit einem bekanntermaßen tödlichen Virus zu infizieren, ist kein Kavaliersdelikt, sondern kriminell. Bei Kenntnis einer solchen Veranstaltung sollte man die Polizei informieren."
aus meiner Perspektive stellt die Bezeichnung des Denunziantentums eine ungehörige Frechheit und Respektlosigkeit gegenüber all denen, die sich anstrengen mit dieser Situation klar zu kommen, dar.
Wenn 100 Tausende Mitbürger ihre Läden dicht machen müssen und Millionen alte oder kranke Menschen sich proportional mit steigenden Infektionszahlen ängstigen; Lehrer, Eltern und Schüler sich bis zur Erschöpfung anstrengen einen konstruktiven Umgang zwischen Schutzmaßnahmen und Aufrechterhaltung der Ausbildung zu finden. Hier sind EinrichtungsleiterInnen und Pflegekräfte sinngemäß ebenso zu benennen. Und auch dies nur beispielhaft, um die existierende Solidarität zu beschreiben.
Zusätzlich anzuführen, die in den Krankenhäusern tätigen MENSCHEN (um nicht kämpfenden zu sagen). Die sich um jeden Patienten sorgen, dabei ihre eigene Gesundheit zur Disposition stellen, ihre Hobbys hintanstellen und ihren Familien viel…
Die Fragestellung mutet seltsam an: "macht es Sinn...". Natürlich macht es für alle Tanzbegeisterten Sinn das zu leben, was Teilinhalt ihres Lebens ist. Die Frage lautet also eher: "ist es zu vertreten, dass...?". Auf diese Frage gibt es jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt eine klare Antwort: nein, es ist nicht zu vertreten und zwar unter gar keinen Umständen. Ein Blick auf die Zahlen zeigt eine Entwicklung, deren Höhepunkt nicht erreicht ist, wobei niemand sagen kann, wann dieser Höhepunkt erreicht wird. Es gibt viele Tänzerinnen und Tänzer, die im pflegerischen Bereich tätig sind, tagein, tagaus. Einige von Ihnen haben seit Wochen und Monaten keine Milonga besucht und würden angesichts dessen, was sie aus ihrem Arbeitsalltag zu berichten wissen, es auch niemals tun.…